historisches und zeitgemäßes

Baukultur im „Weltkulturerbe oberes Mittelrheintal“
Leserbrief veröffentlicht 10.04.2007 in der „Rhein-Zeitung“

Mit der Ernennung des oberen Mittelrheintals zum Weltkulturerbe sollten im wesentlichen zwei Dinge erreicht werden. Zum einen wollte man die historisch gewachsenen Strukturen vor dem Verfall bewahren und für die Nachwelt erhalten und zum anderen sollte eine zukunftsorientierte Entwicklung, an den Erfordernissen der Region orientiert, gewährleistet werden. Aber vor allem die Verwirklichung des zweiten Punktes scheint im Mittelrheintal doch erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten. Denn was die Gestaltung von zeitgemäßer und damit zukunftsorientierter Architektur im Zusammenhang mit bestehenden Gebäuden angeht, ist das Mittelrheintal weit davon entfernt der zeitgemäßen Architekturgestaltung ihren berechtigten Platz einzuräumen. Auch und gerade im Umfeld historischer Bausubstanz. Zeitgemäße Architektur, wenn sie sich nur in die Nähe bestehender durchaus schützenswerter Bausubstanz wagen sollte, wird gnadenlos einem Gestaltungsdiktat unterworfen, in dessen Vokabular der Begriff „zukunftsorientiert“ eine merkwürdige Interpretation erfährt. Die vielbeschworene zukunftsorientierte Baukultur droht im Mittelrheintal zu einem Historizismus zu verkommen, der seines Gleichen sucht (einen schönen Gruß aus Dresden).

Betrachten wir uns z. B. den neuen Hotelanbau des Schlosshotels auf Burg Rheinfels. Bis vor kurzem konnte man in seiner Gestaltung ein Stück zeitgemäßer Architektur erkennen, das einen wohltuenden Kontrast zur bestehenden Baumasse der Burg darstellte. Dies kam nicht zuletzt der Burgruine selbst zu gute. Dieser Anbau stand bis vor kurzem als Beispiel für eine architekturtheoretische Auffassung, die man folgendermaßen umschreiben kann: Wenn in Verbindung mit historischer Bausubstanz eine neu zu errichtende bauliche Erweiterung mit zeitgemäßer Nutzung auch in zeitgemäßer Architektur ausgeführt wird, verstärkt das Neue durch den Kontrast die Geltung des Bestehenden. Gerade durch den Kontrast unterstützt der Neubau den Bestand und hilft dem Bestehenden die eigene Identität zu bewahren. Durch das Nebeneinander der unterschiedlichen Baustile (in unserem Beispiel die heterogene Baumasse des Bestandes und der homogene Baukörper des Anbaus) bildet sich dieser für beide Baukörper positiv wirkende und für die Wahrnehmung der Unterschiede notwendige Kontrast aus.

Auf Burg Rheinfels sind es die ruinösen Überreste der Burg, die mit ihrer Größe und ihrem Umfang des echten historischen Kerns ihre besondere Wirkung entfalten. Von Gebäuden im eigentlichen Sinn kann ja nicht mehr die Rede sein. Die Ausdruckskraft des historisch wertvollen Bestands wird durch zeitgemäße Nutzung und Architektur nicht eingeschränkt werden können. Wohl aber wird die eigenständige Wirkung des Bestehenden durch historizistische Maßnahmen an Neubauten verwässert und der historische Kern seiner Identität beraubt. Auf Burg Rheinfels wurden bereits so viele Bausünden begangen und Neubauten in ein historizistisches „Mäntelchen“ gesteckt, dass sich ein verwaschenes Gemenge, von kulissenhaften Beliebigkeiten und hilflosen Versuchen das „gute alte“ und doch „so romantische“ wieder herzustellen, gebildet hat.

Was immer man mit der Verkleidung des Anbaus, wie es nun geschehen ist erreichen wollte; das Neue dem Bestand „anpassen“! den Eindruck erwecken er würde schon immer zur Burg gehören? oder was auch immer!? Es bleibt ein ängstliches Verstecken zeitgemäßer Architektur auf Kosten der original erhaltenen Überreste der Burg. Es wird weder der alten, bestehenden Bausubstanz, noch dem neuen Gebäude gerecht.

Es gibt in der Baugeschichte eine Reihe von Beispielen, bei welchen mehrere Baustile im Kontrast zueinander in einem harmonischen Gesamtbild vereint werden. Heute gelten diese Gebäude als herausragende Bauwerke der Baugeschichte. Über Jahrhunderte historisch gewachsen. Man betrachte sich zum Beispiel den Mainzer Dom. Hier ergeben romanische, gotische und barocke Bauteile ein harmonisches Ganzes. Und ich bin davon überzeugt, dass sich die gotischen und barocken Baumeister nicht im geringsten darum gekümmert haben, wie ihre Vorgänger gebaut haben. Die Erweiterungen des Doms wurden, dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend, architektonisch umgesetzt. Ist ja auch logisch. Sonst gäbe es keine gotischen oder barocken Erweiterungen, sondern nur romanisch historisierte Anhängsel. Auch in der heutigen Zeit gibt es bei Erweiterungen historischer Gebäude viele gelungene Beispiele einer solchen Harmonie zwischen alter und neuer Bausubstanz. Warum nicht auch im „Weltkulturerbe oberes Mittelrheintal“? Soll die Auszeichnung „Weltkulturerbe“ im Mittelrheintal gleichbedeutend mit dem Ende der zukunftsorientierten Architekturentwicklung sein?

Hat es wirklich etwas mit Denkmalpflege zu tun, wenn durch historizistische Maßnahmen, neue Gebäudeteile in ein „altes Mäntelchen“ gekleidet werden und zeitgemäße Architektur damit ihrer eigenständigen Ausdruckskraft beraubt wird. Welche geschichtliche Bedeutung soll ein Anbau, den es so weder inhaltlich noch formal gegeben hat, veranschaulichen? Soll in Zukunft das Leichentuch dieses unsinnigen Historizismus das Weltkulturerbe bedecken? Oder soll zeitgemäße und zukunftsorientierte Architektur, im Zusammenhang mit zeitgemäßer Nutzung, gerade in Verbindung mit bestehenden Gebäuden, frischen Wind in altes Gemäuer bringen? Das einzige was das „Weltkulturerbe oberes Mittelrheintal“ in architektonischer Sicht, wenn es um Baumaßnahmen im Rahmen bestehender und erhaltenswerter Gebäude geht, bisher auszeichnet, ist ein ängstliches Verharren in historizistischen Vorstellungen, die weitab jeglicher zeitgemäßer Architekturentwicklung und damit auch jeglicher zukunftsorientierter Entwicklung im Mittelrheintal liegen. Ich wage zu behaupten, dass dies nicht mit der Auszeichnung zum Weltkulturerbe zu vereinbaren ist.

frank deutschmann
architekt